Das verwitterte Haus

11. Juni 2003
von Patrick Armbruster

Weit draussen in der Steppe steht das verwitterte Haus der Ausgestossenen. Sie waren drei fähige Wundermenschen. Alt wie das Haus, welches sie vor zweimal hundert Jahren selbst gebaut hatten um darin zu leben.

An einem Sommertag, als die Hitze besonders unerträglich war, lagen die drei auf Sonnenliegen auf der weiten Terrasse des Hauses. Einer von ihnen war Telekinet. Er konnte kraft seines Geistes Dinge bewegen. Aus Spass und Langeweile zu gleichen Teilen, und um ein wenig Schatten zu spenden, liess er über ihren Köpfen einen grossen Felsen tanzen, den alle drei beobachteten. Der zweite war ein Telepath. Er las in den Gedanken der beiden anderen, während er an einem kühlenden Drink nippte, den der Dritte, dessen Begabung und Fluch es war, dass seine Wünsche wahr wurden, ihm besorgt hatte.
Die Gedanken des Telekineten waren ziemlich uninteressant, zumal er sich sehr auf den Felsen konzentrieren musste, der mal höher, mal tiefer über ihren Köpfen schwebte.
Der Telepath las also in den Gedanken des Dritten, dessen Wünsche wahr wurden. Das waren unterhaltsame Gedanken, die - wenn sie auch oft melancholisch waren - wie ein geschichtenerzählender Bach in seine eigenen Gedanken plätscherten, sich mit ihnen vermischten und dann weiterflossen.
Vor zweimal hundert Jahren kamen wir hierher und bauten unser Haus. Seither haben wir wohl alle möglichen und unmöglichen Dinge gedacht und getan. Wir haben alle Bücher dieser Welt gelesen und die Filme gesehen. Wir haben selber Bücher geschrieben und manchen Film in unseren Gedanken gedreht. Und wie das Haus sind wir mit der Zeit älter geworden. Unsere Gelenke quietschen wie die Scharniere im Haus, und unsere Phantasien werden staubig wie der Estrich, den wir schon lange nicht mehr betreten haben. Ich hätte mir wünschen können, dass das anders wäre. Doch wir alle sind müde geworden. Wir verwittern, wie das Haus verwittert. Unsere Fähigkeiten setzen wir als Spielzeug ein, welches uns mehr oder weniger bei Laune hält. Ich wünschte, wir würden alle unsere besonderen Fähigkeiten verlieren.
Der Telepath erschrak in diesem Moment, da der Strom der Gedanken abrupt abbrach, und plötzlich Stille herrschte. Der Telekinet spürte, wie er den eisernen Griff, mit welchem er den Felsen in der Luft gehalten hatte, einfach aufgab und verlor. Der Dritte lächelte, als er sah, dass sein letzter Wunsch in Erfüllung ging.

"Sieh mal!" sagte Rahel, die am Steuer des Jeeps sass. Frank, auf dem Beifahrersitz, schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn. "Ein Haus. Und auf der Terrasse ein Fels, grösser als das Haus selbst! Das muss ein Meteor sein, der vom Himmel gefallen ist! Die Besitzer des Hauses haben wirklich Glück gehabt, dass er genau neben das Haus gefallen ist!"




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