Links mit achtzehn

1. Januar 2006
von Patrick Armbruster

Als ich zum ersten Mal davon hörte, dass wir an Silvester in der Roten Fabrik auftreten würden, erinnerte ich mich an das Jahr, in dem ich lernte, was Kommunismus bedeutet.

Das Jahr war 1992. Ein gutes Jahr, prinzipiell. Ich war zwar in der Schule gerade nicht so am glänzen, aber ich hab' das damit kompensiert, dass ich vermehrt auf jene Parties ging, auf denen immer viel gekifft und gute Musik gehört wurde.

Eine dieser Parties war dann die Silvesterparty, und die begann für mich damit, dass ich eintraf und sofort die Frau sah, mit welcher ich den Rest meines jungen Lebens verbringen wollte. Ich war damals achtzehn – und manche mögen jetzt denken, dass ich doch schon einmal oder gar zweimal einen Text über jene Frau geschrieben habe, aber das ist falsch. Denn mit achtzehn Jahren war ich so veranlagt, dass eigentlich jede Frau, in die ich mich auf den ersten Blick verliebte, jene Frau sein sollte, mit welcher ich den Rest meines jungen Lebens verbringen wollte. Das waren andere Zeiten damals.

Jedenfalls: Ich kam da rein und sie stand da bei der Bar und bestellte sich ein Glas von dem, was es so hatte – also irgend'ne Bowle mit viel Alk und alk-getränkten Früchten.

Sie war wunderschön und hatte so Pfirsichstückchen drin. Also die Bowle. Die Frau natürlich auch. Also sie war auch wunderschön, und als ich neben sie trat, hatte sie auch grade so ein Pfirsichstückchen im Mund und für einen Moment stellte ich mir damals vor, dass ich gern' das Pfirstichstückchen gewesen wäre, aber dann hat sie's zerbissen und runter geschluckt, damit sie mein scheues "Hallo!" erwidern konnte.

Wir setzten uns später irgendwo in so ne Ecke, die mit Kissen ausstaffiert war, und unterhielten uns über die Musik, die lief, über die Menschen, die wir kannten und stellten trefflich fest, dass unsere Cliquen fast keine Überschneidungen aufwiesen. Sie gehörte den gaaaaaaanz Linken an, also jenen, die erstens immer so'n Arafat-Tuch trugen und zweitens immer an solchen Parties kifften, während ich bloss ab und zu mal an nem Joint mitgeraucht hatte. Ich begründete das damit, dass ich eigentlich nie gross was gemerkt hatte und vor allem, dass mir der Stoff zu teuer war. Ausserdem konnte ich nicht drehen.

Sie erklärte mir dann den Kommunismus so: "Weisst du," sagte sie, "man geht halt auf so ne Party, und weil ja letztlich sowieso alles allen gehört, wird der, der den Stoff bezahlt, einfach gleich mit Alk abgefüllt, dann wird ihm der Stoff abgenommen, dann werden Joints gebaut und geraucht und wenn er Glück hat, bekommt er auch noch was davon ab."

Ich nickte. "Ach so. Dann sind Kommunisten jeweils diejenigen, welche ohne irgendwas bei den Parties auftauchen, dann behaupten dass ohnehin alles allen gehört und somit das zu teilen beginnen, was andere mitgebracht haben."

"Genau!" rief sie und zeigte grinsend ihre schönen Zähne.

Sie gefiel mir, wenn mir auch ihre Philosophie nicht passte, also nahm' ich sie beim Wort und steckte ihr meine Zunge in den Mund. Wir knutschten etwa eine halbe Sekunde, und wenn ich nicht aufgepasst hätte, wäre meiner Zunge das gleiche passiert wie zuvor dem Pfirsichstückchen. Sie gab mir eine Ohrfeige und ging, ohne dass ich sie darauf hätte hinweisen können, dass doch auch sie im eigentlichen Sinne allen gehörte, und dass das Teilen doch gerade in ihren Kreisen ein wichtiger Bestandteil gemütlichen Beisammenseins wäre.

Ich habe sie nie wieder getroffen, soweit ich weiss, aber ich habe mir angewöhnt im neuen Jahr, auf Parties nie was dabei zu haben, was andere wollen. Oder zumindest nicht darüber das Maul aufzureissen.

Man mag mich für einen Egoisten gehalten haben, aber den Linken von damals ging's halt nur ums Kapital.




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