In manchen Nächten lag ich, nachdem ich mich von den Anderen verabschiedet hatte, noch wach in meinem Bett und betrachtete die Sterne durch das klare Glas des Dachfensters. Ich dachte damals oft über das Schicksal nach, das mir bevorstand. Nicht weil ich mich davor gefürchtet hätte, sondern weil ich es kannte. Es war eine Zeit, in der ich nur darauf warten konnte, dass etwas geschah, weil ich verschiedenen Personen, die ich nicht mehr erreichen konnte, Dinge angetan hatte, die am Ende auf mich zurück fallen sollten. Sie waren von Anfang an so geplant gewesen. Dennoch hatte ich meine getroffenen Entscheidungen bereits Tage später bereut. Ich wusste, dass ich sterben würde, doch das war nicht das Problem. Das mag unverständlich klingen für einen Menschen, der die Anderen nicht kannte. Und noch weniger verständlich für einen Menschen, der sich vor dem Tod fürchtet. Darum muss ich an dieser Stelle ein paar Dinge erklären, die man mir glauben mag, oder nicht.
Es gibt schlimmere Schicksale als den Tod. Zumal der Tod jeden Menschen am Ende ereilt. In gewisser Weise gehört er genau so zum Leben wie die Geburt. Dass nach dem Tod ein neues Leben auf uns wartet, mag einige der Leser dieses Dokumentes überraschen, andere werden vielleicht denken, dass sie es schon immer gewusst hätten, was nicht wahr ist. Und wieder andere mögen mich einfach für einen alten Spinner halten, der in seinen Wirrungen ein paar Zeilen notiert hat. Ich bin nicht alt, obschon ich manches Leben gelebt habe. Und ich bin nicht verrückt, obschon das ohnehin im Auge des Betrachters liegt. Ich war im Leben, dessen Ausgang ich in diesem Dokument beschreibe, ein 'Journalist des Grauens'. So nannte mich der Verlag auf den Klappentexten der Bücher, die er von mir veröffentlichte. Doch die Horrorgeschichten, die ich verfasst hatte, waren im Vergleich zu dem Schrecken, der mich ereilte, harmlose Fiktionen, über welche ich oft weniger Bescheid wusste als meine Leser. In diesem Sinne ist dieses Dokument wohl ein Erstling. Erstmals schreibe ich aus erster Hand erlebte Zeilen, die in den Augen manchen Lesers unheimlicher und grausamer erscheinen mögen als alle meine Bücher. Vielleicht bin ich auch einfach zu sehr in die Geschichte involviert, als dass ich sie für harmlos halten könnte. Vielleicht ist das alles ebenso natürlich, wie der Tod zum Leben gehört.
Die Anderen, das waren Menschen. Wie Sie und ich. Mit dem Unterschied, dass sie sich ihres Lebens nicht bewusst waren. Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Der wahrscheinlichste Fall ist, dass man stirbt und wiedergeboren wird, wobei man die Erinnerungen an frühere Leben vergisst. So wurde ich geboren - und sehr wahrscheinlich auch Sie. Dann gibt es den Fall, dass man wiedergeboren wird nach dem Tod und alles noch weiss. Man erinnert sich an die vorigen Leben wie an einen Film, von dem man aber weiss, dass man der Protagonist war. Davon gibt es wenige. Dann gibt es noch diejenige, die sich bewusst sind, dass sie gestorben sind. Und sie glauben, noch immer tot zu sein. Sie denken, sie wären in einer anderen Welt, in einer Art Jenseits. Sie halten alles, was ihnen widerfährt, für den Willen eines dunklen Gottes, der sie - ganz im Sinne der Rolle eines Teufels - ewig bestraft. Und aus diesem Grund tun sie, wovon sie glauben, es würde sie in den Augen jenes dunklen Gottes zu einer Art Diener machen. Die Diener des Bösen, sozusagen. Vielleicht sind Ihnen schon solche Menschen begegnet. Sie akzeptieren keine logischen Argumente. Sie lassen sich gerne auf Gespräche ein, wollen aber Ihre Meinung nicht hören. Sie tun am Ende alles nur, um zu schaden, zu zerstören, zu vernichten. Seltsamerweise gesellen sie sich oft zueinander. Sie bilden Paare, Gruppen, gründen Kulte. Ich wurde in eine Familie geboren, die so war. Ich wuchs in ihrem Haus auf. Man erzog mich zu einem Satanisten, was mich sicherlich geprägt hat, Horrorgeschichten zu mögen. Ich schrieb sie gerne, ich schrieb sie anscheinend auch gut. Ich fragte mich aber auch, weswegen meine Eltern, ihre Freunde und Bekannten, so waren, wie sie waren. Denn ich merkte seit früher Jugend, dass ich nicht so war wie sie. Ich wollte nicht Schaden zufügen. Ich wollte nicht zerstören. Nicht vernichten. Die Bücher, die ich schrieb, waren ein Weg, mich damit zu befassen. Die Gespräche, welche ich mich einer Freundin führte, welche Rückführungen anbot, um seine früheren Leben sehen zu können, waren ein anderer. Auf diesem Weg fand ich heraus, was mir bevorstand. Und was die Anderen, wie ich die Gruppe von Menschen nannte, die mich umgaben, vorhatten.
Sylvie, wie sich besagte Freundin nannte, sagte einmal: "Es ist nicht gut, was mit dir geschieht. Sie werden dich töten, um mehr Einfluss zu erlangen. Mehr Geld und mehr Einfluss." Ich hatte ihr nicht Recht gegeben, was sie verärgert hatte. Aber am Ende verstand sie, dass ich trotz meines erlangten Wissens die Erfahrung, dass die Anderen zu mir gehörten oder ich zu ihnen, nicht einfach abschütteln konnte. Sie war eine der beiden Personen, welche ich am Ende betrog, damit sie ihren Weg gehen konnten. Die andere Person hiess Peter. Er war mir ein hilfreicher Freund gewesen, durch den ich viel über die Pläne der Anderen erfahren hatte. Ich hatte ihn ums Leben bringen lassen. Ganz pragmatisch mittels einem Auftragskiller. So entging er dem Schicksal, von den Anderen erwischt zu werden. Damit schützte ich weniger ihn, als dass ich die Ziele der Anderen zu vereiteln versuchte. Mein Mord an Sylvie jedoch geschah aus Liebe zu ihr, da damals Peter schon tot war, und Sylvie für die Zwecke der Anderen unnütz geworden war. Dennoch hätten sie sie unnötig gequält. Das konnte ich nicht zulassen.
Und so lag ich auf meinem Bett und betrachtete die Sterne durch das klare Glas meines Dachfensters. Ich hatte einen Freund töten lassen, um die Ziele von Menschen zu verhindern, welche sich als Diener des Bösen verstanden, das es so nicht gab. Ich bereute es, da ich mir nicht länger sicher war, ob meine eigenen Ziele die richtigen waren. Ich hatte eine Freundin, eine Geliebte, mit eigener Hand ermordet, um ihr ein grausames Schicksal in den Händen derselben Anderen zu ersparen. Es hatte mich lange Zeit geplagt. Wohl auch deswegen hatte ich schlecht Schlaf gefunden. Und ich wusste, dass die Anderen mich töten würden. Schmerzlos sogar, denn sie hassten mich nicht. Ich war in ihren Augen einer von ihnen, der nützen konnte, indem er verfrüht starb. So liessen sich meine Bücher, an denen die Anderen die Rechte haben würden, noch besser verkaufen, als sie es ohnehin getan hatten. So kamen die Anderen zu Geld. Und dies führte zu Macht. Ich hatte keine Möglichkeit, dies in meinem Leben zu verhindern.
Ich bin jetzt siebenundzwanzig Jahre alt. In einem neuen Leben. Ich habe gewusst, dass ich die Anderen nicht von innen besiegen konnte. Aber ich habe es von aussen getan. Dieser Text ist mein Geständnis. Ich habe Streit gesät unter vielen dieser Anderen. Ich habe selber unzählige der Anderen getötet. Nicht im Namen irgendeines Gottes, sondern im Namen der Verwirrtheit der Anderen, die nicht wussten, dass sie ein neues Leben hätten beginnen sollen. Sie waren verwirrt, das mag man ihnen verzeihen. Doch ihre Taten waren böse, wenn es auch den Bösen in diesem Sinne nicht gibt. Doch welche Strafe auch der Staat für die Verbrechen der Anderen sich hätte ausdenken können, es hätte nicht zur Folge gehabt, dass sie aufgehört hätten. Sie mussten sterben mit Gewalt, um im nächsten Leben vergessen zu können, was früher einmal war. So habe ich es gelernt. Und doch zweifle ich, während ich dies schreibe, oft an meinem eigenen Verstand. Wie ich eingangs schon erwähnte, liegt Wahnsinn immer im Auge des Betrachters. Doch gerade dieser Gedanke ist es, der mich dazu führt, den Anderen zu verzeihen, ihnen gar die Möglichkeit zu geben, Recht gehabt zu haben, so dass ich auf einmal derjenige bin, der falsch lag. Ich hoffe, diese Zeilen tragen dazu bei, meinen Selbstmord zu verstehen. Ich muss erfahren, wie es weiter geht. Und das kann ich nicht, während ich hier in dieser Zelle Tag für Tag und Nacht für Nacht auf Wärter warte, die mir Essen und Pillen, nicht aber Gespräche liefern.