Warum ruhst Du heute noch?

von Renato Kaiser

Ich glaube nicht, dass du heute noch ruhst. Vielleicht war's ja anstrengend, die Welt zu erschaffen, und das in sieben Tagen, nein, nur sechs Tage musstest du dich plagen, Giraffen und Affen in ein Schlaraffenland zu tragen, und ohne zu fragen - auch Menschen ins Spiel zu bringen, die viel bezwingen und wenig schaffen, die mit Waffen alles niederringen, den Ring von Frodo missbrauchen, wie Hitler und Stalin, Tolkien hättest du lesen müssen, um zu wissen, dass nur Elben edel sind und im Einklang leben mit der ganzen Welt, mit der Natur, nur, du hast sie eben nicht nach Elbenbild gebastelt, sondern nach deinem Ebenbild, und dein Ebenbild ist kein Bild von einem Elben, sondern offensichtlich jenes von Menschen, die zerstören, was zu zerstören ist, die unterdrücken, was schwächer ist, die mit Krieg kriegen wollen, was nicht ihnen ist, Menschen, die im Namen von Jesus Christ ganze Völker aufs Kreuz legen - ja, Menschen hast du ins Spiel gebracht.
Und ins Spiel bringen ist wohl der richtige Ausdruck, wenn ich hier aufmuck, reklamiere und dir nun präsentiere, wie ich die Entstehungsgeschichte sehe:
Ein Spiel war's. Ganz einfach. Ein Spiel war's und du ein Kind. Dir wurds zuviel und flohst geschwind. Aus den Augen aus dem Sinn.
Vor meinem innern Auge seh ich dich, mit glänzend Augen nach vorne tasten, hin zu dem Geschenke-Tisch und dort befindet sich, ein Welt-Baukasten. "Eine Welt erschaffen in sieben Tagen" steht da geschrieben, und gedrängt von deinen primitiven Trieben reisst du hastig dann den Deckel auf und pfeifst drauf was drauf steht, denn drauf steht, kleingeschrieben "für Götter im Kleinkindstadium nicht geeignet".
Aber ja ich weiss, man ist halt jung und wild und - Gott, da macht man halt mal was aus dem Bauch heraus, es ist ein grausig Augenschmaus, wenn du mit deinen wulstigen Kinderfingern in dem Kasten, anstatt vorsichtig zu tasten, und herumwühlst wie unsereins im Sandkasten. Aber unsereins kommt ja erst später.

Denn am Anfang, am Anfang schufst du Himmel und Erde, und dass das so werde, hast du schon hinter dich gebracht, denn den Deckel hast du ja schon aufgemacht und siehe da, das Spielfeld ist die Erde, alles was drüber ist, ist Himmel. Und was dann noch kommen sollte, sollte dich auch nicht in Verlegenheit bringen. Die Spielanleitung, die sie dir mitgaben, war nicht gerade kompliziert, da hat sich jemand nicht geziert, es dir ganz leicht zu machen, Licht zu machen, "Licht machen, einfach gemacht" war der Titel des Kapitels, in dem dann stand "und Gott sprach: es werde Licht und es ward Licht". Das musstest du dann nur noch nachplappern, also das im Mittelteil, mit verstellter Stimme, und zack - war's hell. So schnell hattest du mittlerweile ne Erde, nen Himmel, Licht, Tag und Nacht, besser gesagt, Deckel auf und Deckel zu. Zudem war das Spielfeld nicht einfach bloss Karton, nein, Erde war's. Organisch, praktisch, gut. Da gabs noch ein paar Samen, die musstest du noch reinstecken, dann Wasser drübergiessen, liesst es über die Erde fliessen, ein bisschen mehr noch, ein bisschen mehr, hoppla, ein bisschen zu viel, das nanntest du das Meer.
Sah ja irgendwie gut aus so, hast du dir gedacht und ganz leise gelacht, ja, das hast du gut gemacht. Und das alles in nur drei Tagen, alle Achtung.
Achtung! Es folgen ja noch vier weitere Tage, und nimm es mir nicht übel, wenn ich jetzt sage, dass du dich danach auch nicht gerade selbst übertroffen hast, allzu hastig hast du dann Sonne und Mond, Fische und Vögel, die restlichen Tiere und den Menschen gemacht, und dem gabst du dann die Blankovollmacht. Er solle "da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alle Tiere des Feldes und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht". Und zu dem kriechenden Gewürm hast du dann wohl auch die Frau oder "Männin", wie du es so schön formuliert hast, gezählt, indem du sie aus einer Rippe des Mannes geschnitzt hast zu seinen Diensten. Um von dieser Rolle loszukommen, hat die Frau dann Tausende von Jahren gebraucht - Ein kleines Dankeschön hierfür von der Frauenseite: "..." Aber lassen wir das nun beiseite.
Eine Welt hast du erschaffen, du allein. In sechs Tagen.
Und am siebten Tage, ja, am siebten Tage musstest du ruhn, aber warum ruhst du heute noch?

Nein, ich glaube nicht, dass an du deinem siebten Arbeitstage sanft entschlummert bist in süsse Träume, von einer Welt mit grünen Bäumen, blauem Himmel, und Glockengebimmel. Nein, ich glaub nicht, dass du heute noch döst in einem Dornröschen-Schlaf brav Schafe zählst und dich in deinem Wolkenbett unter deiner Wolkendecke in dein Wolkenkissen drückst, nein, das glaube ich kein Stück und wenn es doch so wäre,... ja dann würd ich dir mit sanftem Harfenklang und mit flüsternder Stimme sagen:

"MEIN GOTT, GÖTTER BRAUCHEN KEINEN SCHLAF!!"

Aber eben, wie gesagt, ich glaube nicht, dass es so geschah, aber ebenso wenig glaube ich diesen Mist, dass es dich nie gegeben habe, dass das hier, all das Leben, einfach so entstanden ist, aus der Laune von, ja, von wem denn? Vom Zufall? Schicksal? Einfach, ein Urknall aus dem All, der all das hier begründet?
Nein, Zufall war's nicht, der alles hier entgleisen liess, uns ausstiess in diese Welt aus Hass und Ignoranz, dieses überlaufende Fass aus Diskrepanz zwischen arm und reich, zwischen unsrer Welt und dritter Welt, zwischen Bierbauch und Hungerbauch, zwischen "von der Hand in den Mund leben" und den Finger nicht aus dem Arsch bekommen, zwischen Liebe und Hass, zwischen Leben und Tod.
Nein, der Zufall war nicht schuld. Zufall ist dann schuld, wenn du im Lotto gewinnst, oder wenn du in der Dorf-Tombola den Früchtekorb abräumst, nein lass den Zufall aus dem Spiel, denn vielmehr war ein andres Phänomen das Problem hier, ein Problem namens Langeweile.
Denn bis zum sechsten Tage, war's keine Plage, war's spannend, doch am siebten dann, erwogst du wage, das Spiel einmal zur Seite zu legen, und andere Hobbys zu pflegen. Welche das waren, weiss ich auch nicht so genau, vielleicht wolltest du dir eine neue Wolke zu legen, oder eine Harfe, oder eine Göttin aufreissen, eine scharfe, wie der Zeus, vielleicht bist du ja Zeus und mittlerweile in die Pubertät gekommen, nur Gott weiss, also du, womit du dir die Zeit vertrieben hast.
Aber das macht für mich Menschen keinen Unterschied, was mich drängt zum Klagelied, ist, dass du den Welt-Baukasten hast geschasst, denn als du die Welt in eine Ecke geschmissen hast, haben wir nicht einfach aufgehört zu sein, nein, wir haben uns vermehrt und vermehrt und jeden Flecken der Natur verzehrt, uns gestritten und umgebracht, Schlacht um Schlacht gefochten, Krieg um Krieg geführt, geführt, geführt geführt - Führung haben wir gesucht, du warst ja beschäftigt, Führer haben wir gesucht, die mächtig waren - und wir waren Fahnen im Wind, egal, ob er vom Kommunismus oder Faschismus her geweht hat, statt Seelen-Heil schufen wir Heil-Hitler, statt einem brennenden Busch haben wir einen regierenden gekriegt, statt Frieden haben wir Krieg gemacht, o ja, Grosses haben wir vollbracht.
Steht es noch in deiner Macht, das alles wieder hinzubiegen, die Welt in den Griff zu kriegen, frag ich dich, und weiss nicht, ob du mich hörst, ob es dich stört, was hier unten abgeht, wovon soll ich jetzt ausgehn: dass wir wirklich führungslos dahinvegetieren, oder ob du vielleicht auf allen vieren vor deinem Werke verzweifelst und nicht mehr weiter weißt. GAME OVER, das Spiel wär in jenem Fall dann wohl zu Ende, du der Verlierer und wir sowieso, aber wieso, wieso, musstest du am siebten Tage ruhn.




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