Moonlight Drive

von Charly

Die Tür des Zuges
öffnet sich
und
zwei Schritte
und
endlich wieder hier
nach Jahren
endlich wieder hier

Halb sieben Uhr früh
und schon
den alt bekannten
Duft
einer Stadt
einer Stätte
Gare de l'Est
in der Nase

Irgendwie Zuhause
oder
in der bekannten Fremde
angekommen
noch immer
nur unverständliche Worte
dieses Französisch
und dies wird sich wohl diesmal
nicht ändern

Bekannte Fealings
und viele längst verblasste
Erinnerungen
an gelebte Leben
hier
erwachen

Ein Morgen in Paris
und es soll Abend werden

Werde diesmal nicht alleine
verweilen
in der Stadt
meiner Geschichten
meiner Erinnerungen
und nur noch
einige Stunden
bis sie endlich ankommen wird



Im Hotelzimmer
am Tisch sitzend
schreibend

Das hohe Fenster
steht offen
die offensichtlich
alten Vorhänge
zurückgezogen

Ein schmaler
hoher
Innenhof
schäbige Fassaden
mit Müll überdeckte
Kupferdächer
weiter unten
im Hof

Im Bad
ein Stadtbewohner
Kackerlake
ihr Name
tritt meist in Gruppen
erst alleine
scheinbar
in Szene

Traf sie nach einer dusche
einer warmen
sanften
dusche
die ich mir gönnte
nach den ersten Stunden
Grossstadttreiben

Das offene Fenster
gegenüber
eine Art Fernseher
ein dösendes
weisses Hündchen
auf dem Bett liegend
Pariser Idylle
und Jazzklänge
aus einer andern Wohnung

In zweieinhalb Stunden
landet ihr Flugzeug
wenn nur alles klappt
mit dem sich treffen
bald will ich los
noch
Zeit
etwas Zeit

Ein nettes Zimmer
eigentlich
Lieblichkeiten
des Zerfalls
überall
und dürftige Flickversuche
schrecklich dilettantisch
ausgeführt

Na ja
was soll's
der Fernseher läuft ja
die Dusche und das WC
müssen nicht mit Fremden
geteilt werden
und die beiden Betten
machen auch einen soliden Eindruck

Ein Schrank
ein Tisch
ein Stuhl
zwei Betten
reicht
Deutlich spürbar
und das mag ich ganz besonders
an alten
billigen
Hotelzimmern
die Geschichten
die sich in diesen Räumen
schon abspielten
vielleicht geschrieben wurden
erfunden wurden
und Schicksalsschläge
Liebe und Hass
und Freude
und Tränen
und Kinder
die in ihnen
schon gezeugt wurden
und Beziehungen
die zerbrachen
oder tiefere
innigere
die entstanden
und kommende Geschichten
drängen sich auf

Heute Morgen
als erstes
nach der schnell geglückten
Obdachsuche
Montmartre

Betrat die engen Gassen
wieder
erkannte den Duft
gleich wieder
und zaghaft
einige Sonnenstrahlen
die das nasse Kopfsteinpflaster
aufblitzen liessen
Alles bekannt
alles Erinnerung
auch die grünen Putzmannschaften
die morgens
allen Dreck runter spülen
an den kleinen Läden
Galerien
Brasserien
Puffs und Hotels
vorbei

Noch keine Touristenströme
noch keine unnötigen Sprachen
alles sehr französisch
gemächliche Hektik
sehr inspirierend

Noch zwei Stunden
und diese Realität
wird eine andere sein
noch zwei Stunden
und ich werde nicht mehr
allein sein
noch zwei Stunden
bis das Flugzeug
landen wird

Drei Monate getrennt
durch nichts
als Distanz
drei Monate lang
nur Telephonate
Träume
Hoffnungen

Wie wird es nur werden
das erste Erblicken
nach so langer Zeit
so vielen Vorstellungen
Na ja
nun sind sie da
diese Tage
diese Nächte
diese Momente
der Zweisamkeiten
für zu kurze Zeit
wieder eins sein
können
nicht mehr warten
müssen
nur
in Erinnerungen schwelgen
müssen



Unterwegs
im Zug
nur noch eine Stunde
eine Stunde
bis ich sie
in meine Arme schliessen kann

Stadion de France
aussteigen
ein neues Ticket kaufen
meines
nur für zwei Zonen gültig
der Flughafen
in der fünften
und Probleme
mit den breiten Bullen
will man vermeiden

Noch dreissig Minuten
bis zum Airport
komm an
komm an
und Stop
und weiter
noch eine Station



Charles de Gaule
ein alter Bekannter
alles so verflucht gross
und irgendwie
kalt
und ein ungutes Gefühl
und
wo werde ich sie nur treffen

Und sie sollte längst hier sein
wo
wo
wo
und keine Zigaretten mehr
Stress
voll Stress
ach dort
Tabac
die Rettung
noch eine
und noch eine
und runter ziehen
Schweissperlen
Hitze
hin und her
stressend
schneller
Ungewissheit
und wo nur wo
und
beiseite
geht beiseite
verpisst euch
weg hier
wo

Dann
irgendwann
um eine Ecke
zwei Augen
ein sehr vertrautes Gesicht
das Gesicht
der Frau meiner Träume
plötzlich wieder real
in mein Leben getreten
endlich
wieder zusammen
und endlich
angekommen
in meinen Armen
und ich will sie für immer
festhalten
nie mehr
loslassen

Und kein Stress mehr
absolute Ruhe
nichts
aber auch gar nichts
dass mich aus der Fassung
bringen könnte
Stillstand
und
nur noch die Gegenwart
diese Gegenwart
zählt



Samstag morgen
nach der ersten Nacht
und
nicht einsam erwacht
wie üblich
und ja
schön

Der erste Morgen
mit ihr in Paris
nach einer halb durchgequatschten
Nacht
Erlebnisse ausgetauscht
und Träume

Das Frühstück
verpennt
was soll's
irgendwo ein Baget kaufen
frisches warmes Weissbrot

Dann
Pere Lachais
Jim Morrison
die einzige Pflicht
die ich hier verspüre
ein Ritual
jedesmal
hier in Paris

Und
nicht alleine
vor sein Grab treten
müssen
und mich nicht alleine fragen
müssen
was ich hier eigentlich
soll
eben
ein Ritual
halt
wie Weihnachten
Ostern
oder so was

Kenn ihn ja nicht
kannte ihn nie
nur sein Werk
halt
eine Art
Vater
oder Bruder
geistiger Natur
oder auch nur ein
Freak

Noch eine Berührung
nur noch eine
noch einmal
ihren Atem spüren
nur noch einmal
noch einmal
ihren Geruch
tief einatmen



Trocadero
ausgestiegen
raus
aus dem Metroschacht
den für immer gespeicherten
Geruch
noch einmal tief
einatmen
Grossstadtgeruch
Metromief
Gestank der Freiheit

Dann
die Treppe hoch
und
was soll dieser Bretterverschlag
nur ein schmaler Gang
und Nieselregen
und Touristen
viele Touristen
und weiter
und
der Eifelturm
sichtbar

Und wieder irgendwo
in der Vergangenheit
angekommen
neben mir
meine Hand festhaltend
die Gegenwart

Die Treppe runter
bis zur Mauer
sitzen
und schauen
nur schauen und geniessen
die Weite der Stadt
und der Turm
Die Wolkendecke reisst auf
Sonnenstrahlen spiegeln sich
in kleinen Pfützen

Aus Kanonen schiesst Wasser
ins Becken
fliesst
alles fliesst
die Zeit
die Realität
scheint inexistent

Eine Geistergestalt
unten
auf dem Rasen
weiss und weit
weht ihr Kleid
im Wind
der nicht bläst
nur so in Gedanken
seltsam berührend

Gingen dann runter
zum Brunnen
japanische Hochzeit
sehr
sehr kitschig
und witzig
die vielen Fotoapparate
und Videokameras
ein sichtlich überfordertes Brautpaar
dass in Szene gesetzt wird
auf dem Rasen
dann gestellt
und alle Verwandten
und Bekannten
und die stolzen Eltern
dazu
und man feiert in Paris



Sonntag morgen
um halb acht erwacht
sie lag schlafend neben mir
ein leises Geräusch
ihr Atem

Ein sehr schönes erwachen
mag es
sie zu betrachten
wenn sie schläft
süss in ihr Kissen gekuschelt
den Mund leicht geöffnet
die grossen blauen Augen
geschlossen

Mag es
wenn sie erwacht
langsam
ihre Hand nach mir sucht
findet
und sie dreht sich
und
guten Morgen
gut geschlafen
jaaa
immer neben dir

Um zehn
schon über die Chanselisee
geschlendert
den Triumphbogen
nicht bestiegen
wenige Menschen
unter ihm
auch noch früh

Selbst die Wache
noch nicht auf ihrem Posten
und das ewige Feuer
für irgend einen
unbekannten Soldaten
entfacht worden
züngelt einsam vor sich hin
zeitlos
teilnahmslos
ja vielleicht sogar
leicht gelangweilt

Setzten uns
auf den Fuss des Bogens
genossen die Sonne
die Aussicht
auf die vielen Strassen
Häuser und Autos

In der Ferne
ein Riesenrad
stillstand
und
eine Reisegruppe
alle die selben Jacken
gelbe
Herdentiere
seltsame Herdentiere
auch noch im Urlaub
schrecklich

Klick klick klick
und alles gespeichert
um Zuhause dann betrachtet
erlebt zu werden
und es geht wohl auch
ums zeigen
wo man so war
was man sich alles so
leisten kann

Wenig später
in einem Kosmetikgeschäft
untertrieben
ein Tempel
ein Palast
der Düfte und Farben
entspannende Musik
und edelste Architektur
störend nur die billigen
staubigen
Plastikpflanzen

Werde ihre funkelnden Augen
nie vergessen
beim Anblick all der Duftflaschen
Nagellacke
Püllverchen und Püderchen
wie durch ein Heiligtum
schien sie zu schweben
staunend
schnuppernd
geniessend

Dann weiter
ins nächste Geschäft
grösser
gigantisch

Waren die ersten
die an diesem Sonntag
den Laden betraten
gleich bei Türöffnung
über den roten Teppich
eingetreten
links und rechts
die Verkäuferinnen
nett aufgereiht
nett gekleidet

und
bonjour bonjour
und
man ist hier wer
ein freundlich
umschmeichelter
Kunde
halt



Versinke in deinen Augen
Liebling
versinke in deinem Meer

Versinke in deinen Träumen
Liebling
lass mich fallen
gibt nichts mehr

Wandere tief in deine Seele
Liebling
wo unsere Welt beginnt
nach dem Ende
der Realität

Schlage die Tür zu
Liebling
denn niemand
soll mir folgen können
auf dem Weg
zu dir

Keine Geheimnisse
behindern die Fahrt
keine Lügen
lassen mich in Löcher
fallen
in denen ich sterben
würde
auf der Reise
zu dir

Blindes Vertrauen
und Licht fällt
durch die grossen
runden Fenster
ins Innere
blau grün gelb weiss
und mehr

Wir gehen zusammen
schweben still über dem Boden
bin ganz bei dir
bei mir
und jeder für sich
gemeinsam
Energien tankend

Viele Menschen
unwichtig
in einer anderen Ebene
scheinbar
spürbar
die Wahrnehmung
konzentriert
auf die Zweisamkeit
und mehr

Betende
auf ihre Art
der Ewigkeit nahe
und
Religiosität ist vielschichtig
immer andersartig
und
auch ohne einen Gott im Nacken
erfahrbar

Mag seine Gegenwart
die erst im Kopf entsteht
die Seele trinken lässt
den Saft des Lebens
der in der vibrierenden Stille
gepflückt werden will
von jedem der versteht
von jedem der begreift
das Kirchen erst
durch die eigene Gegenwart
geheiligt werden können
Wir begriffen
wir tranken
schlürften
aus vollen Kelchen

Nahm dich auf
immer wieder
verliess mein Gefängnis
verliess meinen Körper
kroch in dich hinein
und umgekehrt
und übervolle Lehre

Einmal im Kreis rum
und wieder raus
auf dieTreppe
und die Blicke schweifen
in die Ferne
in die Tiefen
der unendlichen
Häuserschluchten
und ich versinke
in deinen Augen
Liebling
versinke in deinem Meer

Gibt es mehr als Alles
Liebling
gibt es mehr
als du und ich
gemeinsam auf der Treppe
vor der Sacre Coeur



Abend in Paris
und die Sonne
weicht
dem Mondenschein

Vorsommer in Paris
und die laue Nacht
beflügelt zu mehr
die zu Rauch gewordenen
Gedanken
hängen über der Stadt
wandern von Dach zu Dach
umkreisen den Turm
und unterm Bogen durch
und
ins Nichts

Blaue Lichter
eins zwei drei
und mehr
und ich halte deine Hand
du meine
und Trommeln
Gitarren
singende Freiheit

Du tanzt
für dich
für mich
bewegtes Glück
im Rhythmus der Nacht
mein Glück
für immer
festhaltend



Morgens
durch die engen Gassen
immer weiter
die Sinne geschärft
offen für alle Eindrücke
Szenen
wie im Film
die sich vor uns abspielen

Baget essend
fast schon wie Franzosen
einen neuen Tag beginnend
mit dem Unterschied
das Fremden die Kleinigkeiten
auffallen
die im alltäglichen Trott
unwichtig erscheinen

Ein parkiertes Auto
eingeklemmt
zwischen zwei andern
und Gehupe
und Rufe
und abwarten
wie sich der Film entwickeln wird

Und weiter
die Treppen hoch
durch unsern Stadtteil
unser Paris
mein Montmartre

Eine Art Heimat
geistige Heimat
ein Ort um Verwandten
nahe zu sein
die längst nicht mehr sind
deren Dorf
längst nicht mehr ist
überlaufen
von Touristen
die suchen
und niemals finden werden
mit ihren Kameras
und nichts verstehen



Das Abschiedscafé
vor drei Tagen noch
das Ankunftscafé
und schon wieder hier
wieder alleine
Bier trinkend
schreibend
sinnieren

Bäng bäng bäng
und wieder krass
in der Einsamkeit
den Erinnerungen
gelandet

In wenigen Minuten
wird ihr Flugzeug landen
shit
verdammt grosse Scheisse

Will nicht alleine hier sein
nein
und
seltsam eigentlich
kenn mich so nicht
war doch immer
alleine
in Paris
und
hab mich doch nie
na ja
fast nie
gelangweilt
jetzt sehr
sehr.




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