Ausflüge

von Doris Wirth

1 Bern
Sie weiss nicht mehr, wessen Idee es war. Vermutlich ihre. Sie wird gesagt haben: mal raus kommen. Mal was anderes. Neue Stadt und so. Es regnete, als sie in Bern ankamen. Sie erwischten den falschen Bahnhofsausgang und traten hinaus auf eine Teerstrasse, die genau so grau war wie der angrenzende Himmel. Ein weisser Streifen auf der Strasse folgte dem nächsten. Die Strasse schien nirgendwo hinzuführen. Weiter weg standen ein paar Wohnblöcke. Sie glaubt, dass irgendwo ein Plakat hing, das beiden nicht gefiel. Die Strasse war leer und grau. Es gab nichts anzufassen. Sie wusste nicht, was sie in Bern wollten.
Später haben sie sich Pralinen gekauft, die in ein rot-goldenes Säcklein gepackt wurden. Sie waren als Spezialität der Konditorei angekündigt worden und schmeckten fade. In einem Kaffee tranken sie heisse Schokolade. Sie wartete darauf, dass das Gefühl der Gemütlichkeit sich einstellen würde. Dass es sie weich ummanteln würde.

2 Picknick
Sie zog ihr geblümtes Sommerkleid an und setzte den weissen Hut auf. Sie hatten einige Köstlichkeiten in die knatternde Migros-Papiertüte gepackt und gingen nebeneinander die aufgewärmte Teerstrasse hinunter. Sie sagte, dass es seltsam sei, dieses Picknick durchzuziehen, obwohl sie sich nicht freuten. Er sagte, er könne ja gerade so gut gehen und dann schrien sie sich an und dann ging er. Sie verschränkte ihre Arme um die Decke und stampfte weiter. Am Fluss breitete sie die Decke aus und liess sich darauf fallen. Sie vergrub ihr Gesicht in den Wollhaaren der Decke und bewegte sich nicht. Ihr Körper schmerzte. Sie dachte, dass dieser Schmerz nie mehr auhören würde.
Als er kam, redeten sie kaum. Sie drückte ihn an sich und er erwiderte den Druck. Stumm klammerten sie sich aneinander und pressten so stark, bis die harten Klumpen in der Brust langsam aufgeweicht wurden.
Auf dem Rückweg wateten sie durch den Fluss. Sie ging vor ihm her und dachte, dass es schön aussehen musste, wie ihre Hüften unter dem geblümten Kleid wippten.

3 Meer
Sie waren mit dem Bus in die kleine Stadt gefahren. Er hatte in ihren Armen gelegen und sie hatte ihm vorgelesen. In der Stadt war kein Platz mehr, sie war übervölkert von jungen Surfern. In der Dunkelheit trotteten sie nebeneinander stadtauswärts Richtung Meer. Am Strand weideten zwei Pferde. Das weisse schimmerte bläulich im Licht der Nacht. Sie versuchte sich ihm zu nähern, während er müde und mit schwindender Geduld wartete. Das Pferd frass und war nicht sonderlich interessiert an ihr.
Am Meer entlang stapften sie weiter und suchten einen Schlafplatz. Unterhalb einer Düne breiteten sie die Schlafsäcke aus. Das Meer lag dreissig Meter vor ihnen im Dunkeln, über ihnen glitzerten einige tausend Sterne. Es war still. Sie sassen sich gegenüber und sie wartete. Sie waren am Meer. Sie war mit ihm allein. Sie schaute ihn an und nahm seine Hände. Sie waren kalt und ein wenig feucht. Als sie seinen Blick suchte, fand sie zwei dunkle Punkte in der Nacht. Leise begann sie zu weinen und warf ihren Kopf in seinen Schoss. Er hielt sie fest. Unter seinen Händen fühlte er das Zittern ihres lautlosen Schluchzens.

4 Ostern
Meistens fuhr er. Sie hatten das Auto ihrer Eltern. In Basel sassen sie in einem Café, er dicht neben ihr, zu müde zum Reden und sie schaute das Päärchen gegenüber an. Sie gefielen ihr. Sie sass oft neben ihm und schaute auf die Welt hinaus.
Sie rannten am Rhein entlang und hielten ihre Füsse ins kalte Wasser. Im Auto hörten sie “Where do I beginn” von Shirley Bassey. Auf einer Wiese oberhalb eines Feldwegs brachte er das Auto zum Stehen. Die Pflanzen wucherten auf der Wiese, es roch nach Kräutern und nach Gras. Die Bäume wirkten wild, ihre Äste wuchsen krumm. Hinter einem Zaun stand eine verlotterte Hütte mit einem Kräutergarten. Sie kletterten einen Hang hinauf und standen neben einem hohen Maisfeld. Der Wind kühl, es dämmerte. Sie schnupperte an seiner braunen Lederjacke. Sie hätte ihn gerne springen sehen oder kehlig lachen. Sie wäre gern gepackt worden und in die Luft geworfen oder eng an ihn gedrückt. Sie wäre gern mit ihm um die Wette gelaufen, jetzt, sofort und los.
Er schaute sie fragend an. Sie tastete in seinen Augen und rutschte ab. Sie stapften durchs hohe Gras zurück zum Auto. Machten Musik und die Heizung an und wärmten sich auf. Sie sagte, dass sie nicht wüsste, ob das da alles war. Alles, was sie wollte. Als er weinte, konnte sie ihn in die Arme nehmen. Er war warm und schwer und fühlte sich gut an. Nie liebte sie ihn mehr, als wenn er weinte, und die Trauer breitete sich wohlig in ihr aus.

5 Baggersee
Die Strassen sind mit gelben Blättern bestreut. Zuerst fahren sie an hohen Plattenbauten vorüber, dann werden die Häuser niedriger. Er besucht sie in der neuen Stadt. Ist das immer noch die Stadt, sagt er. Ich will dir einen Ort zeigen, sagt sie. Sie biegen ab und fahren an Einfamilienhäusern vorbei. Ein Mann mäht den Rasen seines Vorgartens. Es ist Samstag. Auf dem Fussballplatz spielen ein paar Jungs. Sie sind falsch abgebogen. Vielleicht ist es der schmale Wiesenweg. Sie fährt voraus und entdeckt das knorrige Gehölz. Hier ist es. Der See liegt flach und in der Sonne glitzernd vor ihr. Er kommt über den überwachsenen Weg angekurvt auf ihrem kleinen weissen Fahrrad. Sie atmet die kühle Herbstluft ein. Er strahlt.
Sie breiten die Decke aus und sie stellt sich vor ihn hin. Er umarmt sie und hebt sie hoch. Wie schön hier, sagt er.
Die Sonne wärmt ihre Haut. Ihr Kopf irgendwo bei ihm. Seine Brust hebt und senkt sich unter ihrem Nacken. Sie schliesst die Augen. Die Sonne auf ihren Lidern.
Sie rennen ins Wasser. Ihr ist kalt, wimmernd bleibt sie stehen, das Wasser auf Hüfthöhe. Er taucht fünf Meter von ihr entfernt unter und direkt vor ihr wieder auf. Sie presst sich an seinen nasskalten Körper. Sie schreit und schlingt Arme und Beine um ihn, als er mit ihr unter taucht. Lachend trägt er sie hinaus.
Neben ihnen spielen Hunde. Nur einmal denkt sie, wie wäre es mit einem andern, mit einem von hier, mit einem, der bleibt. Einmal spaziert eine weisshaarige Frau mit einem blonden Jungen vorüber. Sie ist in die Wolldecke eingewickelt und fährt mit der Hand über seine stoppelige Kopfhaut. Mit zwei Fingern zeichnet er die Form ihrer Sommersprossen nach und in seinen Augen leuchtet etwas.




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