die gastgeberin

von Doris Wirth

Die Gastgeberin lächelt, als sie die Tür öffnet. Zwischen ihren Beinen schleicht eine Katze hervor und miaut. Ich ducke mich und will sie streicheln, doch sie entwischt lautlos. Die Gastgeberin hat schöne Füsse, sie sind rund und wohlgeformt, nur die zweite Zehe ist etwas zu lang. Die Gastgeberin findet es nicht komisch, dass ich ihre Füsse anstarre. Sie lächelt wissend, als unsere Blicke sich kreuzen. Es lächelt nicht nur ihr Mund, es lächeln auch ihre Augen und die Hände, die sie jetzt nach mir ausstreckt. "Komm", sagt sie und berührt mich sanft am Arm. In ihren übergrossen Hosen wandelt sie vor mir den Gang entlang. Es scheint, den Boden gebe es nicht oder sie berühre ihn nicht, so weich sind ihre Schritte. Alles an ihr ist weich und gross und einladend. Ich folge wie im Traum. Ich wäre ihr weiss ich wohin gefolgt.
Die Leute sind schon da. Fast alle. Sie sitzen am Boden und reden. Sie sehen aus, als hätten sie ihr Leben nichts anderes gemacht. Ich bekomme zu Trinken und ein wenig Brot und setze mich hinzu. Es ist schön, am Boden zu sitzen. Und ganz einfach. Die Kassetten liegen schon bereit, aber niemand kümmert sich darum. Noch ist nicht die Zeit.
Als es klingelt, weiss ich sofort, dass er es ist. Ich drehe mich absichtlich nicht um. Mein Rücken hat auch Augen. Weiss er das?
Als es soweit ist, bittet die Gastgeberin um Ruhe. Es sei ein ernster Film. Die Sofas sind hellblau wie ihre Hosen. Ich sitze am Boden auf der Matratze, er direkt hinter mir. Ich bitte um ein Kissen, seine Knie spür ich dennoch in meinem Nacken. Die Gastgeberin sitzt eng neben mir. Manchmal berühr ich sie ausversehen. Sie ist weicher und wärmer als die Knie und ihre Haut ist seidenfein. Ich würde gerne wissen, wie ihre Brüste sich anfühlen.
Der Film ist ein trauriger. Es passiert nichts und sie reden russisch. Die Bilder sind grau und ernst.
Irgendwann - oder schon lange?- sein Bein an meiner linken Seite. Ich will nicht, eigentlich, und lehne mich trotzdem leicht dagegen. Dann verstärkt er den Druck ein wenig.
Was die russischen Männer reden, versteh ich nicht. Ich sehe nur, sie sind traurig und bin froh darüber. Ich rücke weg vom Bein und strecke meinen Rücken. Doch mein Rücken hat Augen. Jede Bewegung spürt er und sein Blick brennt auf meiner Haut. Unter der Haut kribbelt und rauscht das Blut. Jeder Lufthauch lässt mich erzittern. Im Augenwinkel seh ich die Gastgeberin. Sie rührt sich kaum. Nur ihre Brust hebt und senkt sich weich mit jedem Atemzug.
Ich versuche mich auf die russischen Männer und ihr Treiben am Fluss zu konzentrieren. Doch meine innern Bilder sind stärker. Du, lachend. Du, auf dem Fahrrad. Du, wie du das Gesicht verziehst. Du, wie du weinst.
Ich weine lautlos und verfolge den Lauf meiner Träne. Von der Wange zum Knie und langsam abwärts zu meinem Fuss. Auch meine zweite Zehe ist zu lang. Ich bin froh, dass der Film traurig ist.
Hat er meine Tränen gesehen?
Später sein Fuss an meinem Rücken, nur kurz und sehr fein. Sein Blick dann, lange und dunkel. Ist das auch eine Trauer, oder soll das Verführung sein?
Ich hebe die Augenbrauen und wende den Kopf ab. Verstohlen seh ich mich im Zimmer um. Es ist hellblau und schummrig. Zwei liegen auf dem Sofa. Die andern sitzen eng. Ich kann nicht ausmachen, wo einer aufhört und wo der andere anfängt. Ihr Blick versunken nach vorne, ihre Gesichter in bläulichem Grau vom russischen Film.
Nur die Lippen der Gastgeberin lächeln noch immer. Sie bemerkt meinen suchenden Blick und nickt beinah unmerklich und zufrieden. Dann legt sie den Arm um mich und mein Kopf landet auf ihren weichen Beinen. Meine Tränen bilden ein dunkle Lache im hellblauen Stoff.




dein feedback zum text (direkt an die/den autorIn):
name
e-mail

Leserbrief im Forum schreiben...


zurück zur Übersicht

Geschichten
Ausflüge
Hinter den Schienen endlose Weite
Neuschnee
Vor der Reise
Was liegen bleibt
die gastgeberin

Gedichte

story.ch mithilfe von google.com ganz einfach durchsuchen...


story.ch Newsletter

E-Mail

... und hier das Archiv der Newsletter zum Ansehen.

(Der story.ch Newsletter kann jederzeit abbestellt werden - mit dem angemeldeten Absender eine E-Mail senden.)


story.ch präsentiert: Mein|Eid, das neueste Büchlein von Patrick Armbruster. Für nur noch 7 Franken!


story.ch ist die Plattform für elektronische Verbreitung literarischer Werke junger AutorInnen. Die Themen reichen von Alltagsgrau, urbanem Leben über Liebe, Leidenschaft, Erotik bis hin zu fantastischen Märchen.

©1997-2009 by Patrick Armbruster & story.ch, die grösste Schweizer Online-Literaturplattform